15.04.2019

Neue Chemnitzer Stadtkerngrabungen

Lage der Grabungsareale (blau) vor der Stadt (C-36) und im Stadtkern (C-33) auf dem Berliner Meilenblatt von um 1800. Berliner Meilenblätter: [WMS] HTW Dresden. 
© Landesamt für Archäologie

In der Chemnitzer Innenstadt werden wieder große Flächen archäologisch untersucht.

Seit Sommer 2018 laufen hier zwei große Grabungen des Landesamtes für Archäologie. Gemeinsam mit knapp 12.000 m², sind es die derzeit größten Stadtgrabungen in Mitteldeutschland. Eine Grabung liegt direkt neben dem Staatlichen Museum für Archäologie Chemnitz - smac - vor den ehemaligen Toren der Stadt am Johannisplatz, während sich die andere im mittelalterlichen Stadtkern, nicht weit der Jakobikirche, am Getreidemarkt befindet.
 

Grabungen am Getreidemarkt, C-33

Getreidemarkt, Schnitt 1 im November 2018, in der Mitte ist eine umhegte Rechteckgrube mit zwei daraufzulaufenden Gräben. Links davon ist bereits eine weitere ähnliche Grube zu erkennen.
Getreidemarkt, Schnitt 1 im November 2018, in der Mitte ist eine umhegte Rechteckgrube mit zwei daraufzulaufenden Gräben. Links davon ist bereits eine weitere ähnliche Grube zu erkennen.  © Landesamt für Archäologie

Seit September dokumentiert hier ein Team von 7-8 Archäologen die noch erhaltenen archäologischen Zeugnisse im Stadtkern. Die Grabung findet in enger Abstimmung und mit Unterstützung des Bauträgers Rebo Consult Ingenieursgesellschaft mbH statt, der hier ein Wohn- und Geschäftshaus errichtet.
Dank kleiner Aufschlüsse in den 1950er Jahren war schon vor Grabungsbeginn bekannt, dass das Quartier zwischen Börnichsgasse/Kirchgässchen und Lohstraße wegen seines feuchten Untergrunds eine gute Erhaltung organischen Materials aufweist. Wurden doch damals bereits Holzkonstruktionen von Grubenbefestigungen oder Wasserrinnen und zahlreiche andere Relikte des Mittelalters und der Frühen Neuzeit in erstaunlich gutem Zustand freigelegt. Dazu lässt der Name »Lohstraße« - von der für das Gerben benötigten Gerberlohe - auf die Anwesenheit des Gerberhandwerks in diesem Stadtquartier schließen.
Nach den Backstein-Beton-Fundamenten eines DDR-zeitlichen Kindergartens traten zunächst die mit Kriegsschutt verfüllten Keller der am 5. März 1945 zerstörten Gebäude zu Tage. Hier wurden mehrere Fundamentmauern aus Bruchsteinen und Zwischenwände aus Backsteinen freigelegt, die zwischen 1800 und 1850 datieren. In den Fundamentmauern waren ältere Bauteile, sogenannte Spolien, verbaut, von denen zwei Rundbogenportale mit Riefung aus Sandstein besonders interessant sind. Stilistisch gehören sie in die Renaissancezeit und überliefern damit ein lang verlorengegangenes Stadtbild.

 

Verstürzte Flechtwerkwand eines spätmittelalterlichen Gebäudes. Sie bildete den Wandaufbau zwischen den Balken eines Fachwerkgebäudes und war ehemals mit Lehm verputzt.
Verstürzte Flechtwerkwand eines spätmittelalterlichen Gebäudes. Sie bildete den Wandaufbau zwischen den Balken eines Fachwerkgebäudes und war ehemals mit Lehm verputzt.  © Landesamt für Archäologie

Neben einem ehemaligen Brunnen und einem vermutlichen Latrinenhäuschen des 18. Jahrhunderts sind auch mittelalterliche Strukturen und Befunde aus der ersten Aufsiedlungsphase dokumentiert. Wir befinden uns größtenteils in den ehemaligen Hinterhöfen. So finden sich hier kleinere Schuppen mit Stampffußboden, Lehm- und Kiesentnahmegruben. Ein Teilstück einer recht gut erhaltenen Fachwerkwand konnte als Ganzes – im Block – für spätere Ausstellungen gesichert werden. Zentral im ersten Schnitt wurde zudem eine große umhegte Grube in regelmäßiger rechteckiger Form mit mehreren Mistschichten, Balken- und Reisigabdeckungen freigelegt. Dazwischen Leder- und Fellreste, eine Gussform, Keramikfragmente des 13./14. Jahrhunderts sowie Vivianit-Ausfällungen - ein Anzeiger für eine hohe Rinderurinkonzentration.

Große umhegte Rechteckgrube mit Reisig- und Balkenabdeckung. Auf und zwischen den Reisigschichten finden sich immer wieder Leder- und Fellreste, so wie diese noch recht gut erhaltene Schuhsohle.  © Landesamt für Archäologie

In diese Grube laufen zudem zwei mit Reisig ausgelegte tiefe Graben. Diese Fundumstände sowie die Nähe zur »Lohstraße« machen einen Zusammenhang mit dem Gerberhandwerk wahrscheinlich. Abschließendes wird jedoch erst nach der vollständigen Dokumentation, naturwissenschaftlichen Analyse der Proben und der anschließenden Auswertung zu sagen sein.

Die beiden auf die Rechteckgrube zulaufenden Gräben sind an der Sohle stark mit Reisig ausgekleidet. Hier in der Fläche und im Profil gut sichtbar. Sie weisen ein Gefälle zur Grube auf.
Die beiden auf die Rechteckgrube zulaufenden Gräben sind an der Sohle stark mit Reisig ausgekleidet. Hier in der Fläche und im Profil gut sichtbar. Sie weisen ein Gefälle zur Grube auf.  © Landesamt für Archäologie

Grabungen am Johannisplatz, C-36

Das komplette Grabungsareal vom Dach des smac gesehen. Links die markanten Fundamente der ehemaligen Mädchenschule. Zwischen den Fundamenten und Kellern der gründerzeitlichen Gebäude haben sich auch mittelalterliche Strukturen erhalten.
Das komplette Grabungsareal vom Dach des smac gesehen. Links die markanten Fundamente der ehemaligen Mädchenschule. Zwischen den Fundamenten und Kellern der gründerzeitlichen Gebäude haben sich auch mittelalterliche Strukturen erhalten.   © Landesamt für Archäologie

Seit August 2018 laufen die Grabungen zwischen dem smac und dem Johannisplatz auf Hochtouren. Das bisher als Parkplatz genutzte Areal soll zu einem Büro- und Geschäftshaus werden, Hauptmieter: eins energie in sachsen GmbH & Co. KG; Bauträger: FAY Projects GmbH. Die Fläche liegt vor den Toren der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Stadt in einem spannenden Bereich vor dem Johannistor, unweit der Johanniskirche sowie auf dem Areal des ehemaligen Hospitals St. Georg.
Die große Fläche wird inzwischen dominiert von den freigelegten Kellern und Fundamenten gründerzeitlicher Gebäude, u.a. der ehemaligen Höheren Mädchenschule direkt neben dem smac (2006 abgerissen). Hochinteressant für die frühere Stadtgeschichte sind allerdings die unberührten Zwischenräume. Zwischen den später eingetieften Mauern des 19. Jahrhunderts haben sich ältere Strukturen erhalten, die uns mehr über die ehemalige Nutzung dieses Areals vor den ehemaligen Toren der Stadt verraten.
 

 

Im Wechsel: Die dunkle Verfärbung rings um den Brunnen kennzeichnet seine Baugrube; Pfostengrube und Stakenlöcher; zur Hälfte ergrabene Latrine; zerscherbte Töpfe, Deckel und Ofenkacheln aus der Latrine (15. Jh.).  © Landesamt für Archäologie

So sind bisher eine Latrine mit typischen Funden, v.a. Keramik, des 15. Jahrhunderts, ein Brunnen, viele Arbeits- und Pfostengruben sowie Stakenreihen die in einen gärtnerischen Kontext passen würden, dokumentiert und ausgegraben. Sie sind größtenteils in einen ehemaligen Laufhorizont des 14. Jahrhunderts eingetieft, der immer wieder flächig auf der Grabung erfasst wird. Ein paar der Gruben weisen jedoch auch eine Aktivität im 13. Jahrhundert nach. Dazu treten gehäuft Brandschüttungen und große Gruben mit dicht an dicht gepackter zerscherbter Keramik auf, die in einen Töpfereikontext passen könnten. Töpferöfen konnten bisher jedoch noch nicht nachgewiesen werden. Die bisher geborgene Keramik passt in einen zeitlichen Horizont vom 16.–18. Jahrhundert. Die Töpfereiinnung in Chemnitz hat sich, historischen Erwähnungen zufolge, vermutlich nach dem ersten Viertel des 15. Jahrhunderts zusammengeschlossen und ist 1538 das erste Mal schriftlich genannt. Dazu besaßen, nach Ausweis der Schriftquellen, mehrere Töpfer im 16. und 17. Jahrhundert  ein Hausgrundstück in der ehemaligen Johannisvorstadt. In der ehemaligen Johannisvorstadt wurden bereits 1997 erste Funde von Töpfereiabfällen von Eva Blanc (2005) dokumentiert. Es handelte sich hier um Bruchstücke mit Mängeln wie abgeplatzte Böden, an der Gefäßseite anhaftende keramische Bruchstücke, blasige Glasuren von einer Überfeuerung oder nicht gelungenen Engobenbemalungen. Genauere Untersuchungen des neuen Materials werden zeigen, ob sich hier ähnliche Mängel feststellen lassen.

Töpfereiabfallgrube im Profil mit dicht an dicht gepackter Keramik.
Töpfereiabfallgrube im Profil mit dicht an dicht gepackter Keramik.  © Landesamt für Archäologie

 

L. Burghardt M.A.

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